Interview mit Corinne Cahen im Luxemburger Wort

"Ich habe nirgendwo gespürt, dass Nationalitäten diskriminiert werden"

Interview: Luxemburger Wort (Florian Javel)

Luxemburger Wort: Corinne Cahen, seit bereits fast zehn Jahren sitzen Sie an der Spitze des Integrationsministeriums. Wie werden Sie den Menschen als Integrationsministerin in Erinnerung bleiben?

Corinne Cahen: Was ich vor allem in Erinnerung behalten werde, ist, dass wir die Welt weitergebracht haben. Sie ist nicht mehr wie vor zehn Jahren, wir haben einen neuen gesetzlichen Rahmen für das Zusammenleben, das ein altes Gesetz ersetzt, das nicht mehr up to date war. Es stimmte nicht mit dem überein, wie wir hier in Luxemburg leben.

Luxemburger Wort: Und was nehmen Sie persönlich mit auf den Weg?

Corinne Cahen: Ich wollte immer ein Projekt haben. Ich mache kein l'art pour l'art. Als ich 2013 gefragt wurde, Teil der Regierungsmannschaft zu werden, habe ich Ministerien angeboten bekommen, über die ich gesagt habe: Nein, auf diesen Weg möchte ich nicht in die Regierung. Ich habe für Themen wie Work-Life-Balance, Elternurlaub, Obdachlosigkeit - und auch Integration gebrannt. Ich war ein Kind, das von seinem Vater und seiner Tante einen Krieg geerbt hat. Sie haben als Juden stark darunter gelitten. Für mich ist also die Vorstellung, die manche von einem Ausländer haben, heute eine andere: Ein Mensch ist ein Mensch.

Luxemburger Wort: Böse Zungen behaupten, weil es so lange gedauert hat, das reformierte Integrationsgesetz vorzulegen, Ihnen sei als Ministerin längst die Luft ausgegangen. Stimmt das?

Corinne Cahen: Nein, ganz im Gegenteil. Das alte Integrationsgesetz zu reformieren, hat einige Zeit gedauert, das stimmt. Es war allerdings wichtig, mit den Menschen, die im Bereich des Zusammenlebens tätig sind, zu reden. Das war nicht immer der Fall im Integrationsministerium. Als ich das Ministerium übernommen habe, hat mir sogar ein hoher Beamter an meinem ersten Tag gesagt: "Frau Ministerin, mit der ASTI dürfen Sie nicht reden". An dem Tag bin ich in mein Auto gestiegen und auf der Stelle zur ASTI gefahren. Denn mich verbindet die Arbeit, die ich bei der ASTI als Freiwillige geleistet habe, mit dieser Vereinigung.

Luxemburger Wort: Ist es allerdings nicht so, dass das Thema Integration im Laufe Ihrer Amtszeit eher zu einem Nebenthema wurde?

Corinne Cahen: Zu Anfang, ja. Das lag vor allem an der Flüchtlingskrise von 2015. Wir wurden damals überrannt von einer Flüchtlingswelle, hatten nicht genügend Aufnahmestrukturen. So ist die ganze Thematik rund um das Zusammenleben damals zu kurz gekommen. Der Fokus war auf die Krise gerichtet. Weswegen es mir 2018 so wichtig war, Immigration nicht mehr in meinem Zuständigkeitsbereich zu haben und sie dem Außenministerium zu übergeben. Integration ist wichtig, man kann sie nicht einfach nebenbei betreiben. Das neue Integrationsgesetz ist heute die Krönung unserer Arbeit, um das Zusammenleben in den Vordergrund zu setzen.

Luxemburger Wort: In Bezug auf Flüchtlinge: Sie meinten vor Kurzem, Sie würden es begrüßen, wenn Menschen, die einen internationalen Schutzstatus beantragen, auch früher Zugang zum Arbeitsmarkt haben, als sechs Monate nach ihrem Antrag. Was stellen Sie sich dabei vor?

Corinne Cahen: Es ist nicht mein Ressort. Ich könnte mir aber vorstellen, wenn meine Regierungskollegen mich fragen würden, dass ich dem zustimmen würde. Egal wie lange diese Menschen im Land bleiben, ich finde es wichtig, dass sie aus ihrer Zeit in Luxemburg etwas mitnehmen: sprachlich, sozial, menschlich - wenn man sich integrieren mag, geht das am besten über die Schule oder die Arbeit.

Luxemburger Wort: Flüchtlinge bleiben im Durchschnitt um die 600 Tage in Aufnahmestrukturen, können nicht eigenständig kochen oder einkaufen. Der Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge ist beschränkt, Kinder werden in Integrationsklassen vom Regelunterricht getrennt: Schaut so Zusammenleben für Sie aus?

Corinne Cahen: Nein, überhaupt nicht. Zu all den Punkten, die Sie genannt haben: Seit 2013 wurden alle Strukturen mit Küchen ausgestattet, Flüchtlinge können also kochen. Damals war es allerdings nicht der Fall, was mich äußerst schockiert hat. Zum Logement: Dass Flüchtlinge so lange in diesen Aufnahmestrukturen verweilen, ist immens schlimm. Wohnungsbau ist aber eben ein Problem für alle in Luxemburg. Und Integrationsklassen sind notwendig, damit kein Kind in eine Klasse kommt, in der es die Sprache nicht versteht. Vor allem ist es aber wichtig, dass Flüchtlingskinder in derselben Schule unterrichtet werden wie der Rest der Kinder und diese sich auf dem Pausenhof begegnen können. Natürlich sind wir aber nicht in allem gut genug. In einer idealen Welt würden Menschen nicht nach Statuten behandelt werden und Flüchtlinge müssten keinen einzigen Tag in einer Aufnahmestruktur bleiben.

Luxemburger Wort: Logement, Bildung, Arbeit - alles Themen, die nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Fühlen Sie sich als Integrationsministerin nicht machtlos?

Corinne Cahen: Was den Wohnungsbau anbelangt, fühle ich mich nicht nur als Integrations-, sondern auch als Familienministerin machtlos. Wir würden gerne allen, die bei uns nachfragen, eine Wohnung zur Verfügung stellen, verfügen im Integrationsministerium allerdings über keine.

Luxemburger Wort: Vor dem neuen Integrationsgesetz werden Luxemburger und Nicht-Luxemburger in Bezug auf das Zusammenleben beide in die Verantwortung gezogen. Glauben Sie im Ernst, dass Luxemburger sich am Wochenende mit Nicht-Luxemburgern in einen Kurs setzen werden, in dem ihnen das politische System des Landes erklärt wird?

Corinne Cahen: Diese Frage ist mir zu pauschal. Manche ja, manche nein. Die Luxemburger sind nicht alle gleich. Belgier oder Syrer auch nicht. Manche arbeiten einige Jahre in einem der "Big foul" in Luxemburg und lernen niemanden kennen. Für andere wiederum stimmt diese Behauptung nicht. Ich denke allerdings, dass es eine Nachfrage nach solchen Angeboten gibt. Vielleicht werden die Menschen diese Kurse nicht besuchen, aber wenn sie daran teilnehmen wollen, können sie das.

Luxemburger Wort: Ist es allerdings nicht so, dass von Nicht-Luxemburgern trotzdem generell immer mehr verlangt wird als von Luxemburgern?

Corinne Cahen: Gegenfrage: Ist es wirklich so? Von wem genau wird mehr verlangt? Ich habe fünf Kinder, die vier verschiedene Gymnasien besucht haben. Ich habe nirgendwo gespürt, dass bestimmte Nationalitäten diskriminiert werden. Ich sage nicht, dass es keine Diskriminierung gibt. Wir haben alle einen Bias und müssen an unseren Vorurteilen arbeiten. Deswegen haben wir ja mehrere Programme auf die Beine gestellt und die Bekämpfung von Rassismus im neuen Integrationsgesetz inkludiert.

Luxemburger Wort: 2019 sagten Sie dem "Luxemburger Wort" gegenüber: "Wir merken ja in unserem Alltag, dass es schön ist, wenn jemand in ein Geschäft kommt, und zumindest,Moien' sagt." Sollen Nicht-Luxemburger also Luxemburgisch-Bruchstücke lernen, um den Menschen hier im Land einen Gefallen zu tun?

Corinne Cahen: Sprache ist Teil unserer Kultur. Ich möchte es klar sagen: Sie ist Teil unserer Identität und ich finde es wichtig, dass Menschen, die herkommen, sich für unsere Identität und unsere Geschichte interessieren. Und unsere Geschichte ist wiederum geprägt von Immigration und den Menschen, die in unser Land gekommen sind, und daraus das gemacht haben, was es heute ist. Wenn jemand nur "Moien" sagt, gibt er sich Mühe und baut damit Brücken.

Luxemburger Wort: Allerdings ist Sprache etwas, das sich auch leicht zu nationalistischen Zwecken politisch instrumentalisieren lässt.

Corinne Cahen: Wenn die Menschen nicht darauf hereinfallen, ist es nicht gefährlich. Was Extreme sagen, ist nicht relevant, ich bin dafür, die Menschen zusammenzubringen.

Luxemburger Wort: Stichwort Zusammenbringen: das neue Gesetz über das Zusammenleben. Sind Sie zufrieden damit?

Corinne Cahen: Sehr zufrieden für den Moment. Am Ende ist ein Gesetz allerdings nur so gut, wie es anwendbar ist und wie es von den Menschen draußen wahrgenommen wird. Ich möchte nun die Prozedur so schnell wie möglich zu Ende bringen. Wenn Menschen durch dieses Gesetz die Werkzeuge bekommen, aktiv gegen Diskriminierung zu kämpfen, sich im alltäglichen Dialog einbauen können und andere kennenlernen, dann ist es für mich ein gutes Gesetz. Es muss gelebt werden, sonst ist es nur das Papier wert, auf dem es geschrieben steht.

Luxemburger Wort: Im neuen Gesetz spielt die Musik auf der Gemeindeebene. Die Commissions communales d'intégration (CCCI) sollen nun Commissions communales du vivre-ensemble interculturel heißen. Die ASTI kritisiert diese und spricht von "Alibi"-Kommissionen. Warum immer noch daran festhalten?

Corinne Cahen: Das sind nicht die Worte der ASTI. Sie sagten, in einer idealen Welt würden wir solche Kommissionen nicht brauchen. Das Gesetz ist aber eben wichtig, damit Grenzgänger, Flüchtlinge, Luxemburger und Nicht-Luxemburger zusammenkommen. Es wird dabei um den Menschen gehen und nicht um Statuten. Es wäre aber besser, wenn die Kommissionen überflüssig wären.

Luxemburger Wort: So interpretieren Sie die Bezeichnung "Alibi-Kommission"?

Corinne Cahen: Ich finde, dass das, was in der Praxis geschieht und dass der Pacte citoyen von den Gemeinden unterschrieben wird, zeigt, dass diese Kommissionen etwas bewirken. Schlussendlich liegt es an den Menschen, etwas daraus zu machen. Sie können den besten Gesetzesentwurf vorlegen, wenn keine Taten folgen, dann bringt das nichts.

Luxemburger Wort: Es ist also die Schuld der Menschen in den Gemeinden?

Corinne Cahen: Nein, dann ist das Gesetz vielleicht nicht gut genug und man muss daran arbeiten. Das Wichtigste ist, es muss in der Praxis klappen. Es wird Kommissionen geben, die funktionieren, weil manche sich leidenschaftlich engagieren werden und bei anderen wird das nicht der Fall sein.

Luxemburger Wort: Sie betonen immer wieder Ihr gutes Verhältnis zur Zivilgesellschaft. In Interviews mit dem "Luxemburger Wort" haben ASTI und CLAE vorigen Sommer nicht gerade sanfte Worte gefunden, um die Zusammenarbeit zu beschreiben. Reden Sie sich diese Beziehung schön oder beschäftigen Sie sich nur ungern mit Kritik?

Corinne Cahen: Überhaupt nicht, nein. Ich muss bei der Frage eher grinsen. Denn sowohl bei der CLAE als auch bei der ASTI haben die Präsidenten gewechselt. Wenn die neue Präsidentin der CLAE, Pascale Zaourou, erst seit einem Jahr im Amt ist, kann ich wohl kaum seit zehn Jahren mit ihr in Kontakt gewesen sein. Zudem: Das Ministerium für Integration finanziert den CLAE vollständig. Sie sagen uns, was sie brauchen und ich streite mich mit dem Finanzministerium darum. Ich bin aber extrem überrascht davon, dass mir nachgesagt wird, ich hätte kein gutes Verhältnis zur Zivilgesellschaft.

Luxemburger Wort: Sollte Ihre verbleibende Zeit als Integrationsministerin nur noch dazu reichen, eine einzige Maßnahme durchzusetzen, die den Zusammenhalt stärken soll und Sie kriegen von der Regierung "carte blanche" - welche wäre das?

Corinne Cahen: Ich hätte gerne, dass Menschen nicht mehr nach ihren Statuten behandelt werden und dass dadurch jeder, der für einen bestimmten Zeitraum im Land ist, seinen eigenen Weg findet.

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