Interview von Corinne Cahen im Lëtzebuerger Journal

Mit Charakter und Tatendrang

Interview: Lëtzebuerger Journal (Claude Karger)

Lëtzebuerger Journal:  Frau Cahen. Früher schrieben Sie regelmäßig auf Facebook einen viel gelesenen "Résumé vum Dag". Heute ist das seltener der Fall. Wie würden Sie kurz und knapp Ihre fünf Jahre in der Regierung zusammenfassen? 

Corinne Cahen: Eine tolle und spannende Zeit in einem der für mich schönsten Ministerien, da ich stets sehr nah am Bürger sein kann. Ich konnte viele Projekte und Reformen umsetzen, dies in Zusammenarbeit mit meinen Regierungskollegen, die engagiert an einem Strang gezogen haben. Wir haben die Silomentalität früherer Regierungen überwunden und konnten so viele grundlegende Reformen durchführen, mit denen wir die Lebensqualität der Bürger verbessert haben. 

Lëtzebuerger Journal:  Was würden Sie als ihre größte Errungenschaft als Ministerin bezeichnen? Ist es die Reform des Elternurlaubs? 

Corinne Cahen: Für mich ist jede Reform wichtig. Den Leuten eine bessere Balance zwischen Familien- und Arbeitsleben zu ermöglichen, ist allerdings ein Thema, das mir bereits vor meiner Zeit in der Politik besonders am Herzen lag. Die Reform des Elternurlaubs war ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
Der Erfolg des neuen "congé parental" zeigt, dass wir damit den Bedürfnissen der Eltern gerecht geworden sind. Seit die Reform im Dezember 2016 in Kraft trat, haben insgesamt 84 Prozent mehr Eltern die Elternzeit in Anspruch genommen. Mittlerweile nehmen fast genauso viele Väter wie Mütter den Elternurlaub in Anspruch. Wir müssen deshalb den Weg der besseren Work-Life-Balance weiter beschreiten. Besonders die jungen Generationen wollen mehr Flexibilität bei ihrer Lebensgestaltung. Diesen Forderungen müssen wir entgegenkommen. 

Lëtzebuerger Journal:  Sie haben in diesem Sinne auch die Sonderurlaube reformiert...

Corinne Cahen: Zusammen mit Arbeitsminister Nicolas Schmit konnten wir in diesem Bereich wichtige Kompromisse mit den Sozialpartnern aushandeln. Wir haben den Vaterschaftsurlaub von zwei auf zehn Tage angehoben, damit die Väter direkt nach der Geburt mehr Zeit für ihr Kind haben. Damit Eltern sich im Krankheitsfall um ihr Kind kümmern können, haben wir auch den Urlaub aus familiären Gründen flexibler gestaltet. Besonders freut es mich, dass wir die bestehende Regelung bezüglich des Mutterschaftsurlaubs abgeschafft haben. Dafür hatte' ich mich bereits vor meiner Amtszeit eingesetzt. Ob eine Mutter ihr Kind stillt oder nicht, darf keinen Unterschied machen. Alle Frauen haben nun ein Anrecht auf zwölf Wochen Urlaub nach der Geburt. 

Lëtzebuerger Journal:  Eine weitere Reform, bei der Familien- und Arbeitsministerium Hand in Hand arbeiteten, war jene des Garantierten Mindesteinkommens. Warum musste die durchgezogen werden? 

Corinne Cahen:  Weil es große Defizite im RMG-System gab, die nicht zuletzt von den Sozialämtern und sozialen Vereinigungen seit Jahren hervorgehoben wurden. Für die RMG-Bezieher bestanden nicht genügend Möglichkeiten, um ihre eigene Lage zu verbessern. Die Verwaltungsabläufe waren zu kompliziert und die Bezüge für Kinder und Alleinerziehende waren bei weitem nicht ausreichend. 
Zusammen mit den Sozialämtern, den im Sozialbereich tätigen Vereinigungen und der ADEM haben wir die Reform ausgearbeitet und die Defizite behoben. Mit dem REVIS haben wir jetzt ein wichtiges Instrument, um die soziale Inklusion zu fördern. 

Lëtzebuerger Journal:  A propos Inklusion: Die Behindertenorganisationen sagen, es gebe da noch einiges zu tun, um die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen... 

Corinne Cahen:  Wir arbeiten täglich daran, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Diese Regierung hat bereits viele Projekte umgesetzt. Wir haben zum Beispiel die deutsche Gebärdensprache endlich anerkannt. Wir haben auch mehr Projekte für betreutes Wohnen in die Wege geleitet. Zudem haben wir zwei weitere Gesetzentwürfe auf den Instanzenweg gebracht. Da wäre zum einem der "assistant à l'inclusion" um Betrieben bei der Integration von behinderten Mitarbeitern zur Seite zu stehen. Das erhöht die Chancen der Betroffenen, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Zum anderen haben wir den Gesetzentwurf über die Zugänglichkeit öffentlicher Orte, öffentlicher Wege und kollektiver Wohngebäude ausgearbeitet, der die uneingeschränkte Bewegungsmöglichkeit von Menschen mit einer Behinderung zum Ziel hat. Dies um nur einige Beispiele zu nennen. Natürlich gibt es noch Bereiche, in denen Verbesserungen vorgenommen werden müssen. Daran arbeiten wir weiter. 

Lëtzebuerger Journal:  Die Gesellschaft altert und das Familienministerium ist laut Regierungsprogramm zuständig für die Politik für die älteren Personen. Was hat sich in diesem Bereich getan? 

Corinne Cahen: Auch das ist ein ressortübergreifendes Thema, an dem wir gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium und dem Sozialministerium arbeiten. Aber auch mit den Gemeinden. Jeder Mensch soll auch im hohen Alter gut leben können. Deshalb haben wir etwa die "Club Seniors" gestärkt und 600 mehr Betten für den Langzeitaufenthalt in Pflegestrukturen geschaffen. 1.500 weitere Betten sind in Planung. Wichtig ist auch der Demenzplan, der in dieser Legislaturperiode umgesetzt wurde sowie die Investitionen in die Palliativmedizin. Unser Ziel ist es, die Qualität der Betreuung zu stärken. 

Lëtzebuerger Journal:  Im Koalitionsprogramm wird eine Reform der ASFT-Gesetzgebung angepeilt, welche die Beziehungen zwischen Staat und den Strukturen im sozialen, familiären und therapeutischen Bereich regelt. Warum kam es nicht dazu? 

Corinne Cahen:  Die Materie ist sehr facettenreich und juristisch komplex. Die betroffenen Ministerien haben allerdings intensiv an der Reform gearbeitet. Der Text wurde fertiggestellt und kann von der kommenden Regierung sofort in Angriff genommen werden. Ziel der Reform ist es, die Rechte der älteren Menschen zu stärken, die Qualität der Leistungen im Altenbereich zu sichern und für mehr Transparenz zu sorgen, was die Preisstruktur und das Leistungsangebot betrifft. 

Lëtzebuerger Journal:  Auch die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen fällt in Ihren Zuständigkeitsbereich. Anders als in anderen Ländern ist die Aufnahme von Asylsuchenden kein großes Thema. Warum? 

Corinne Cahen:  Ich bin sehr froh, dass es "kein großes Thema" ist und die Parteien sich solidarisch zeigen. Diese Solidarität besteht auch in den Gemeinden und unter den Bürgern. Wir waren in der Regierung gut auf eine Welle von Schutzsuchenden vorbereitet und hatten unsere Vorkehrungen bereits getroffen, als die Lage in Syrien und in Nordafrika eskalierte. Niemand wollte mehr eine Situation erleben wie 2011, als Flüchtlinge vorwiegend aus dem Balkan bei klirrender Kälte in Zelten untergebracht werden mussten. Wir haben genügend Unterkünfte geschaffen und uns die Mittel gegeben, die Neuankömmlinge optimal betreuen zu können. Ihre Integration in unsere Gesellschaft ist aber natürlich ein längerer Prozess. Um ihn zu begleiten hat die Regierung im Juli dem Nationalen Integrationsplan grünes Licht erteilt. 

Lëtzebuerger Journal:  Abschließend noch ein Wort zur Großregion. Die hat sie als zuständige Ministerin in den vergangenen Monaten sehr beschäftigt, da Luxemburg derzeit den Vorsitz des Gipfels der Großregion innehat. Konnten die Beziehungen der Partner in dieser Zeit verstärkt werden? 

Corinne Cahen: Wir haben sehr gut in den Bereichen Mobilität, Jugend, Schule und Universitäten zusammengearbeitet. Mit Frankreich zusammen versuchen wir derzeit eine "CoWorking"-Zone mit einem Spezialstatut im Süden des Landes einzurichten. Ich bin zufrieden mit unserer Präsidentschaft, denn wir haben viele Projekte in Angriff genommen. Wir müssen aber das Dazugehörigkeitsgefühl zur Großregion bei den Bürgern noch weiter stärken. Dafür wird sich Luxemburg auch in Zukunft einsetzen. 

Lëtzebuerger Journal:  Wenn sie die Gelegenheit bekämen, erneut Mitglied einer Regierung zu sein, würden Sie das gleiche Ministerium beibehalten wollen und welche wäre Ihre erste Priorität? 

Corinne Cahen:  Wie gesagt ist das Familienministerium für mich eines der schönsten Ressorts. Und ich würde es auch weiterhin gerne leiten. Neben den bereits erwähnten Bereichen, würde ich mich besonders gerne in die Verbesserung der Work-Life-Balance der Menschen investieren. 
Dazu gehören für mich der Ausbau des Elternurlaubs sowie eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeiten, was es den Menschen ermöglichen würde, ihr Berufs- und Familienleben noch besser miteinander zu vereinbaren. 

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