Interview von Corinne Cahen mit dem tageblatt

Corinne Cahen: "Das Gesetzesprojekt zur Anerkennung der Gebärdensprache wurde vom Regierungsrat angenommen."

Interview: tageblatt (Jessica Oé)

Tageblatt: Wie sehen Sie das Endergebnis des Aktionsplans? Sind die gesetzten Ziele erreicht worden? 

Corinne Cahen: Dank des Aktionsplans haben wir viele Ziele erreicht. Er wird uns auch weiterhin nützlich sein für die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention. Eine Neuheit war, dass dieser Aktionsplan zusammen mit Menschen mit einer Behinderung sowie Angehörigen, Verbänden und Professionellen, die täglich mit behinderten Menschen in Kontakt stehen, ausgearbeitet wurde. Wir müssen nämlich aufhören, über die Köpfe hinweg für andere Entscheidungen zu treffen. Deswegen wollten wir mit ihnen allen zusammenarbeiten. Sie selbst wissen am besten, was gebraucht wird.

Tageblatt: Im Arbeitsbereich sollte sich viel für eine bessere Inklusion von Menschen mit Behinderung tun. Ist der Aktionsplan hier erfolgreich gewesen? 

Corinne Cahen: Der Plan ist in diesem Feld besonders erfolgreich. Wir haben im Januar das "Centre d'évaluation et d'orientation socio-professionnel pour les demandeurs d'emplois ayant le statut du salarié handicapé ou du salarié reclassé" (COSP) eröffnet. Hier geht es um ein ganzheitliches Konzept für Personen mit einer Behinderung. Wir arbeiten dabei mit der ADEM, dem Arbeitsministerium und, dem Gesundheitsministerium zusammen. 
Denn was ist ganz häufig das Problem? Nicht etwa eine Arbeitsstelle für eine Person mit einer Behinderung zu finden, sondern dass diese auch bleiben kann. Es kommt oft vor, dass das Arbeitsverhältnis wieder aufgelöst wird, nur weil grundsätzliche Informationen fehlen. Im Rahmen des COSP-HR werden daher die Kompetenzen einer Person definiert und der Betrieb, die Vorgesetzten sowie die Mitarbeiter auf die Arbeit mit Menschen mit einer Behinderung vorbereitet.

Tageblatt: Im Bereich Kommunikation war es ein wichtiges Anliegen des Aktionsplans, die Gebärdensprache anzuerkennen und die Leichte Sprache zu fördern. ist. dies umgesetzt worden? 

Corinne Cahen: In diesem Punkt können wir ebenfalls ein sehr positives Fazit ziehen. Das Gesetzesprojekt zur Anerkennung der Gebärdensprache wurde vom Regierungsrat angenommen. Das war mir auch eine Herzensangelegenheit, weil jeder das Recht auf den Zugang zu Informationen besitzt. Schon vor drei Jahren haben wir im Familienministerium eine Gebärdendolmetscherin eingestellt. Sie ist nicht nur dafür zuständig, Sitzungen der Abgeordnetenkammer, oder Konferenzen zu dolmetschen, sondern sie kann auch Einzelpersonen bei Behördengängen begleiten.

In Zukunft, wenn das Gesetz verabschiedet ist, hat zum Beispiel jedes hörgeschädigte Kind das Anrecht, die Gebärdensprache zu lernen. Die Eltern können ebenfalls eine 100-stündige Gebärdensprachen-Ausbildung in Anspruch nehmen. 

Hierzulande erkennen wir die deutsche Gebärdensprache an, da diese hier in Luxemburg exklusiv genutzt wird. Viele denken, dass die Gebärdensprache weltweit gleich ist. Dabei sind die Gebärdensprachen genauso unterschiedlich wie die allgemeinen Sprachen.

Die Mehrsprachigkeit Luxemburgs stellt auch die Menschen mit einer Behinderung vor eine große Herausforderung. Dadurch ist die Umsetzung des Aktionsplans im Bereich Kommunikation nicht immer einfach. 

Für die Leichte Sprache gibt es seit 2012 den Dienst Klaro. Der Dienst hat beispielsweise mit dem Pressedienst des Staatsministeriums eine Broschüre in Leichter Sprache zum Thema "Was tun bei Atomalarm" herausgegeben. Seit Mitte 2015 gibt es auch die Möglichkeit, alle Warnungen von MeteoLux in Leichter Sprache per SMS zu erhalten. 2016 hat Klaro zudem 16 Weiterbildungen zum Thema organisiert. Insgesamt haben 250 Personen teilgenommen. Eine positive Bilanz!

Tageblatt: Momentan ist Klaro allerdings nur mit einer einzigen Person besetzt. Gibt es Pläne, den Dienst auszubauen?

Sandy Zoller (Verantwortliche für die Abteilung "Handicap" des Ministerium für Familie, Integration und die Groβregion) : Frau Bonne übernimmt zurzeit alle Aufgaben. Sie kann natürlich nicht alles selbst in die Leichte Sprache übersetzen. Deswegen gehen wir auf den Weg der Fortbildungen. So sollen die Menschen selbst dazu angehalten werden, die Leichte Sprache anzuwenden. Wir haben zu dem Thema auch mehrere Broschüren veröffentlicht, die Informationen zur Sprache sowie Tipps enthalten, wie man die Leichte Sprache anwenden kann.

Tagbelatt: Kam es bei der Umsetzung des Aktionsplans zu unvorhergesehenen Schwierigkeiten? Haben etwa andere soziale Herausforderungen für Ihr Ministerium wie etwa die Flüchtlingskrise die Umsetzung des Aktionsplans verzögert?

Corinne Cahen: Nein, ganz im Gegenteil. Wir achten bei der Aufnahme von Flüchtlingen auch darauf, dass den Schwächsten und Schutzbedürftigsten geholfen wird. Dazu zählen viele Menschen mit einer Behinderung.

Als die Konvention 2011 unterschrieben wurde, war klar, dass unvorhersehbare Herausforderungen auftauchen können. Die Welt verändert sich schnell. Es gibt viele medizinische Fortschritte, aber auch das digitale, Zeitalter ist angebrochen. Damit verändert sich natürlich auch das Umfeld von Menschen mit einer Behinderung. Es ist unsere Aufgabe, uns diesen neuen positiven Herausforderungen zu stellen, unsere Bemühungen zu verbessern, die neuesten Erkenntnisse und technischen Fortschritte in unsere Arbeit mit einfließen zu lassen und uns diesen Entwicklungen nicht zu verschließen. 

Tageblatt: Einigen Einschätzungen zufolge hat Luxemburg im Bereich Behindertenrechte im Vergleich zu den direkten Nachbarländern einen Rückstand von 20 bis 30 Jahren. Was sagen Sie zu dieser kritischen Betrachtung? 

Corinne Cahen: Ich bin der Meinung, dass das nicht der Fall ist. Wir sind hier in Luxemburg sehr gut aufgestellt, was die Rechte von Menschen mit einer Behinderung betrifft. Ich bin sicher, dass die Regierung und alle Politiker auch auf diesem guten Weg weitergehen möchten. Das ist für mich eher eine pauschale Aussage und ich habe Mühe zu sehen, auf welchen Bereich dies zutreffen könnte. Es gibt sicherlich Bereiche, in denen wir noch Verbesserungen vornehmen können, während wir in anderen bereits sehr fortgeschritten sind.

Um aber herauszufinden, wo wir uns noch verbessern müssen und welche Anforderungen noch nicht erfüllt wurden, werden wir in diesem Jahr eine große Studie bei den betroffenen Personen in die Wege leiten. Dies wird es uns erlauben, gezielte Verbesserungsvorschläge und Lösungen auszuarbeiten.

Tageblatt: Sie müssen im August das Ergebnis des Aktionsplans vor der UNO präsentieren und verteidigen. Erwarten Sie sich eine "bonne note" für Luxemburg? 

Corinne Cahen: Die UNO verteilt keine "bonnes notes",  das erwarten wir uns also nicht. Aber wir rechnen mit guten Ratschlägen zur besseren Umsetzung der Konvention. Wir verfolgen die Berichte der UNO sehr intensiv, da wir sehen möchten, wie die anderen Länder die Konvention umsetzen. Wir erhoffen uns auf diese Weise, einen Einblick in die sogenannten "best practices" zu erhalten, die wir dann in Luxemburg übernehmen können.

Es ist ein Auftritt, der sicherlich herausfordernd wird für die Abteilung "Handicap". Aber wir freuen uns auf den kritischen Blick von außen auf unsere Bemühungen, der uns auch neue Impulse liefern wird.

Tageblatt: Im Zuge dieser Präsentation wurde auch ein Schattenbericht zum Aktionsplan ausgearbeitet. Wie wichtig ist dieser für Sie?

Corinne Cahen: Der Schattenbericht wurde von den Betroffenen selbst aufgesetzt, von daher ist er sehr wichtig. In der Politik arbeitet man nicht nur, um gelobt zu werden. Konstruktive Kritik ist wichtig, um Projekte voranzutreiben und das Leben der Menschen zu verbessern.

Tageblatt: Welche Kritiken dieses Schattenberichts waren besonders wichtig? Waren dort festgehaltene Kritiken nicht berechtigt? 

Sandy Zoller (Verantwortliche für die Abteilung "Handicap" des Ministerium für Familie, Integration und die Groβregion): Viele Punkte des Aktionsplans wurden hier aufgegriffen. Wir haben aber noch nicht Ende 2017, sondern sind noch dabei, vieles umzusetzen. Wir sind auch sicher, dass wir ein Großteil dessen umgesetzt bekommen, was im Aktionsplan steht.

Bei einigen Punkten haben wir auch sofort geantwortet, da diese schon umgesetzt worden sind.

Tageblatt: Bald stehen auch die Gemeindewahlen vor der Tür. Sehen Sie im Thema Behindertenrechte ein Wahlkampfthema?

Corinne Cahen: Sämtliche Gemeinden in Luxemburg setzen sich sehr dafür ein, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen voranzutreiben. In diesen Bemühungen sind auch die Parteien alle vereint. Daher ist es sicherlich kein Wahlkampfthema.

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