Interview von Corinne Cahen mit dem Luxemburger Wort

"Wir leben die Großregion"

Interview : Luxemburger Wort (Christophe Langenbrink)

Luxemburger Wort: Seit dem 1. Januar 2017 hat Luxemburg die Präsidentschaft des 16. Gipfels der Großregion inne. Ihr Schwerpunkt liegt auf Integration und Bürgerbeteiligung. Warum gerade dieses Thema? 

Corinne Cahen: Die Großregion als solches kennt zwar jeder, sie ist jedoch nicht ein Begriff, mit dem sich die Menschen identifizieren. Unsere Bürger erleben vielmehr das Bilaterale. Die Großregion als ein Ganzes zu vermitteln, ist eine komplexe Aufgabe, deshalb wollen wir den Mehrwert dieses einmaligen Kooperationsraumes anhand von "Best Practices" verdeutlichen. Wir können in diesem kleinen Europa viel konkreter zusammenarbeiten als auf der EU-Ebene. 

Luxemburger Wort: Sie titeln in Ihrem Regierungsprogramm "die Großregion nah am Bürger". Was macht Sie denn so sicher, dass die Großregion bei den Bürgern ankommt? 

Corinne Cahen: Der Bürger erlebt die Großregion in seinem Alltag und ist sich der Vorteile gar nicht richtig bewusst. Dass wir grenzenlos einkaufen und arbeiten, ist eine europäische Errungenschaft, die wir hier exemplarisch ausleben können - wie in kaum einer anderen europäischen Grenzregion. Sie ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Wir leben die Großregion! Nirgendwo sonst in Europa erreicht die grenzüberschreitende Mobilität solche Ausmaße. 

Luxemburger Wort: Sie planen, der Großregion den Namen Region Schengen zu geben. Warum dieser Name und warum erst jetzt? 

Corinne Cahen: Der Vorschlag zur "Region Schengen" wurde im Schengener Gemeinderat formuliert. Den habe ich unseren Partnern unterbreitet. Allerdings sind wir noch auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen. Einig sind wir uns darüber, dass die Großregion einen Namen verdient. Denn Großregionen gibt es viele, aber mit welcher Wortschöpfung können wir einen Wiedererkennungseffekt erzielen? 

Luxemburger Wort: Was sind denn die Vorbehalte? 

Corinne Cahen: Der Name Schengen hat weltweit wegen des Schengener-Abkommens eine bestimmte Bedeutung. Es gibt den Vorbehalt bei einigen Partnern, dass es zu einer Verwechslung kommen könnte zwischen dem Schengen-Raum und einer Großregion Schengen. 

Luxemburger Wort: Ist somit diese Namensgebung schon eine Totgeburt? 

Corinne Cahen: Wenn wir an diesen Kooperationsraum glauben, dann benötigen wir einen Namen. Wir sind in einem Meinungsbildungsprozess, das heißt dass wir intern weiter aktiv über einen Namen nachdenken. 

Luxemburger Wort: Seit Beginn der institutionellen Treffen der Großregion besteht der Vorwurf, die Großregion sei ein künstliches Gebilde, das von der Politik konstruiert wird. Womit wollen Sie die Bürger locken, sich mehr für die Großregion zu interessieren? 

Corinne Cahen: Wir wollen durch konkrete Aktionen die Bürger mehr an die Großregion heranführen. Von Kultur bis Bildung über Sport haben wir ein Programm mit vielen praktischen Projekten entwickelt, die den Bürger in seinem Alltag betreffen. 

Luxemburger Wort: Können Sie diese Projekte näher erläutern, die zur Identifikation mit der Großregion führen sollen? 

Corinne Cahen: Wir haben wiedereinführende Förderprojekte für Schulabbrecher in der Großregion und Schüleraustauschprojekte wie "Digital Kids". Wir investieren auch in Praktika für Schüler im sportlichen Bereich. Im Tourismus wird ebenfalls eng zusammengearbeitet, um die mehr als 20 Unesco-Weltkulturerbestätten besser bekannt zu machen. 

Luxemburger Wort: Viele prominente Stimmen behaupten, dass in der Region Grand-Est die Großregion kaum eine Rolle spielt. Gibt es Fortschritte in der Integration der Region Grand-Est in diesen Kooperationsraum? 

Corinne Cahen: Unsere Nachbarn aus Lothringen sind nach wie vor überzeugt von unserer Zusammenarbeit. Allerdings lebt man in Straßburg seine eigene Großregion. Dort schaut man auch über den Rhein nach Baden-Württemberg. 

Luxemburger Wort: Auf der Internetseite der Großregion gibt es verschiedene Schattierungen, die den Kooperationsraum verdeutlichen. Zählt die Region Grand-Est jetzt ganz dazu? 

Corinne Cahen: Der Kooperationsraum hat sich mit der französischen Gebietsreform nicht verändert. Unsere Partnerregion Lothringen ist nunmehr ein Teil der Region Grand Est. Wir alle haben die Franzosen offiziell gefragt, wie sie sich in Zukunft organisieren möchten. Denn wenn wir uns auf Gipfelebene treffen, sitzen ein bis maximal zwei Vertreter pro Region am Tisch. Blickt man dann auf die französische Seite, da sitzen auf einen Schlag zehn Vertreter am Tisch, die alle mitbestimmen wollen. Hinzu kommt noch, dass sie nicht immer die gleiche Position vertreten. Daher ist es unser Wunsch, dass die französische Seite, bevor wir uns erneut treffen, sich auf eine gemeinsame Verhandlungsposition einigt. Denn nach wie vor ist es nicht klar, wer bei den Franzosen das Sagen hat. 

Luxemburger Wort: Demnach ist seit Beginn des Luxemburger Gipfelvorsitzes in puncto Zusammenarbeit mit der französischen Seite kein Fortschritt erzielt worden... 

Wir hatten auf dem Zwischengipfel im Juli eine produktive Aussprache. Wegen der Vielzahl von politischen Vertretern auf französischer Seite, stellt sich in der Tat die Frage nach deren politischen Vertretung. Die französischen Partner haben uns versichert, dass sie sich in Zukunft abstimmen werden. 

Luxemburger Wort: Den sogenannten französischen "Millefeuille" hat es auf französischer Seite schon vorher gegeben. Verschlimmert sich die Lage durch die neue Region Grand-Est? 

Corinne Cahen: Nein, aber sie locken die französischen Partner nicht zwingender-weise mit mehr Großregion. Sie erreichen die Franzosen vielmehr durch konkrete Projekte, die zum Beispiel den Transport, die Fort-und Weiterbildung oder die gegenseitige Anerkennung von Diplomen betreffen. Diese Themen spielen auch in der Region Grand-Est eine besonders ausgeprägte Rolle. 

Luxemburger Wort: Sie suchen nach Wiedererkennungsmöglichkeiten. Das Haus der Großregion könnte in der öffentlichen Wahrnehmung eine solche Rolle übernehmen, wird aber nach wie vor kaum bemerkt. Woran liegt das? 

Corinne Cahen: Das Haus der Großregion ist ein Ort der Begegnung und des Austauschs aller in der Großregion tätigen Akteure. Diese räumliche Zusammensetzung ist ein konkreter Fortschritt in unserer Zusammenarbeit und sorgt für eine bessere Koordinierung. 

Luxemburger Wort: Wo ist da der Fortschritt? 

Corinne Cahen: Die Absprachen müssen nicht mehr mühsam von einer Region zur anderen übermittelt werden. Joint Venture können sich leichter finden. Des Weiteren gibt es zahlreiche Besuche von Schülern, Studenten aber auch von ausländischen Delegationen. Das Haus der Großregion hat nachhaltig zur Schaffung von Netzwerken beigetragen. 

Luxemburger Wort: Welche konkreten Joint Venture gibt es denn? 

Corinne Cahen: Die Konferenz, die wir zur Digitalisierung in der Großregion planen, wird von allen Akteuren getragen und alle sind auch über das Haus der Großregion mit eingebunden. Wir brauchen die Großregion. 

Luxemburger Wort: Digitalisierung ist doch ein nationales Thema. Wie kann die Großregion hier einen Mehrwert schaffen? 

Corinne Cahen: An diesem Thema hängen viele Arbeitsplätze, die zum Teil noch geschaffen werden. Der Erfolg der Digitalisierung wird davon abhängen, wie wir uns in der Großregion abstimmen. Konkret heißt das, wie wir zum Beispiel unsere Ausbildungs und Fortbildungsvorhaben so ausrichten, dass wir alle davon profitieren können. Nur über die grenzüberschreitende Kooperation können wir auch europäische Projektgelder beanspruchen. Daher ist eine Abstimmung unabdingbar. 

Luxemburger Wort: Die Zusammenarbeit auf Ebene der Quattropole läuft besser ohne die Beteiligung der Stadt Luxemburg. Warum braucht Luxemburg als Nationalstaat überhaupt die Großregion? 

Corinne Cahen: Als Nationalstaat haben wir einen klaren Vorteil gegenüber unseren Partnern in der Großregion. Wir können Türen für die Nachbarregionen öffnen, die sie teilweise in ihrem eigenen Land nicht erreichen. Das hilft nicht nur den Nachbarregionen sondern auch uns, weil wir über diese Kooperationsschiene bessere Abstimmungsergebnisse erreichen. Das betrifft beispielsweise die Gesundheitsversorgung in der Grenzregion oder die Bildungsmöglichkeiten. 

Luxemburger Wort: Braucht man aber dafür die Großregion? 

Corinne Cahen: Nehmen Sie den Bereich Infrastruktur: Wenn wir eine sechsspurige Autobahn planen, die auf der anderen Seite der Grenze zweispurig weitergeführt wird, dann ist das nicht zielführend. Ohne ein Minimum an Abstimmung mit unseren Nachbarn kommen wir in Luxemburg nicht weiter. 

Luxemburger Wort: Wie ist es mit der Visibilität der Großregion auf europäischer Ebene bestellt? 

Corinne Cahen: Wir sind klein! Wir möchten nicht abgehängt werden. Wir haben keine Stadt, die in der Größe und Ausstrahlung mit Metropolen wie Paris, London oder Berlin mithalten kann. Auch hier sind wir auf unsere Nachbarn angewiesen, die uns auf europäischer Ebene mehr Gewicht verleihen. Wir glauben nach wie vor an das Konzept der "polyzentrischen Metropolregion". 

Luxemburger Wort: In Ihrer Regierungserklärung zur Großregion steht aber dazu kein Wort! 

Corinne Cahen: Wir wollen 2018 zu dem Konzept "polyzentrische Metropolregion", das Luxemburg bei seinem letzten Gipfelvorsitz präsentiert hat, neue Erkenntnisse liefern. Wir hoffen dadurch, insbesondere bei großen europäischen Infrastrukturvorhaben besser wahrgenommen zu werden. 

Luxemburger Wort: Was die Bürger vor allem interessiert, ist ungehindert jenseits und diesseits der Grenzen einzukaufen. Jedoch führt die deutsche Regierung eine Maut ein. Die EU hat dazu auch schon Grünes Licht gegeben. Sehen Sie noch Wege diese Maut zu verhindern? 

Corinne Cahen: Die Transportminister sollten eine europäische Lösung vorschlagen. In fast allen Ländern zahlen wir mittlerweile eine Autobahngebühr, die sehr unterschiedlich ausfällt. Das ist zum Teil verständlich, weil wir alle wollen gute Verkehrswege haben. Aber wenn jeder seinen Weg geht, können wir vor lauter Vignetten bald nicht mehr aus der Windschutzscheibe blicken! Die deutsche Maut ist für die Trierer klar geschäftsschädigend. 

Luxemburger Wort: Sie sprechen von der Großregion als ein "Lebensraum im Dienst der Bürger, ein Lebensraum mit Zukunft und eine mobile Großregion". Fast 220 000 Grenzgänger pendeln über die Grenzen. Die Verkehrswege sind chronisch überfüllt. Der ÖPNV soll Abhilfe leisten aber ein Ticket Großregion gibt es immer noch nicht. Wo sehen Sie hier den gemeinsamen Lebensraum? 

Corinne Cahen: Es gelingt uns in der Tat besser, den gemeinsamen Lebensraum in anderen Bereichen umzusetzen, zum Beispiel im Bereich der Freizeit und der Kultur. Allerdings muss ich sagen, dass sich im öffentlichen Nahverkehr vieles tut. Luxemburg investiert viel in die Verkehrsinfrastrukturen wie zum Beispiel die Bahnstrecken, die zahlreichen grenzüberschreitenden Buslinien, den Bau von P&R. Luxemburg hat Anfang 2017 eine Befragung zur Mobilität durchgeführt, an der auch 45 000 Grenzgänger teilgenommen haben. Die Resultate werden 2018 vorgestellt. Des Weiteren gibt es einen Luxemburger Vorschlag, der zurzeit auf europäischer Ebene diskutiert wird und der uns zumindest juristisch den Weg dazu ebnen könnte, auch in der Großregion einen neuen Vorstoß bei grenzüberschreitenden Projekten zu wagen.

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